Ein Schritt zur Versöhnung

Auf dem Gedenkstein mitten auf dem kleinen Friedhof des Dorfes Leština, etwa 200 km östlich von Prag, steht nur „Gewidmet den unschuldigen Opfern der Nachkriegsgewalt 1945“, in tschechischer und deutscher Sprache. Pfarrer Jan Hudec erforschte die schrecklichen Ereignisse vom Mai 1945 und ging jetzt anlässlich des 70. Jahrestages des Kriegsendes zusammen mit dem evangelischen Dekanat Sulzbach-Rosenberg einen „Schritt zur Versöhnung“. Möglich wurde diese Veranstaltung durch die großzügige Förderung durch den deutsch-tschechischen Zukunftsfonds.

Plakat

Bei Gottesdiensten und Konzerten gedachten die Gemeinden  Leština, Hrabová, Zábřeh und Šumperk zusammen mit Pfarrer Dr. Roland Kurz, dem Dekanatsbeauftragten aus Sulzbach-Rosenberg und dem Posaunenchor des CVJM Rosenberg der Ermordeten. Außerdem wurde eine Broschüre vorgestellt und verteilt, die über das Massaker von Leština berichtet und zeigt, dass der deutsch-tschechische Konflikt schon viel früher begann, zugleich aber auch darlegt, dass keiner der beiden Seiten die alleinige Schuld am Unrecht zugewiesen werden kann. Damit ist das auf deutsch und tschechisch verfasste Büchlein „Ein Schritt zur Versöhnung“ eine Einladung, sich die Fehler und Verbrechen beider Seiten bewusst zu machen, sie zu verzeihen und offen aufeinander zuzugehen. Auf Vermittlung der Stadt Šumperk finanzierte der Wiener Prof. Viktor Dostal, ein in Šumperk geborener Sudeterdeutscher, den Druck der Broschüre.
In der sozialistischen Zeit waren in Tschechien die Verbrechen an den Deutschen und ihre Vertreibung nach dem Krieg ein Tabuthema. Jetzt beginnt im Nachbarland die Diskussion über die Ereignisse. Auch in Leština und den Nachbarorten sind die Ereignisse der Nachkriegszeit nun ins Bewusstsein gerückt, obwohl sie nie vergessen waren. So legten Verwandte der ermordeten Deutschen auch während der Zeit des Kommunismus immer Blumen am Grab nieder. In Leština und Umgebung leben bis heute noch viele Nachkommen der damaligen Täter und Opfer, und manche Einwohner wissen, wer damals die Täter waren. Sie schweigen aber, weil zumindest deren Nachfahren noch leben.
Den Bürgermeistern der vier Gemeinden war es ein Anliegen, dass Deutsche in das Gedenken einbezogen werden. Jiří Linhart, der Bürgermeister von Hrabová, erläuterte: „Es war mir von Anfang an wichtig, dass diese Begegnung stattfindet, weil unter den Menschen, die ermordet wurden, auch fünf Tschechen waren. Eine der Geiseln, die hier ermordet wurden, war mein Großvater. Ich will nicht anklagen, aber wir wollen endlich ansprechen, was passiert ist, damit es nie wieder geschieht.“
Genauso sehen es auch seine Kollegen aus den Nachbarorten, die deshalb die Begegnung mitfinanziert und unterstützt haben, obwohl sie teilweise im Stadtrat heftigen Gegenwind von Altkommunisten und Nationalisten erfuhren.

Pochor
Bildrechte Dekanat Sulzbach-Rosenberg

Der Rosenberger Posaunenchor unter der Leitung von Kurt Lehnerer spielte bei den sehr gut besuchten, bewegenden Konzerten auch zusammen mit örtlichen Chören. Besonders beeindruckend war das Konzert in Zábřeh mit „Carmen“, einem Auswahlchor der Region. Dieser Chor ist nicht kirchlich, singt aber auch oft kirchliche Lieder. In Zábřeh intonierten die Sängerinnen und Sänger auch Lieder, die man aus dem Gesangbuch kennt, darunter „Ich lobe meinen Gott“ auf tschechisch.  Spontan nahm der Posaunenchor dieses Lied in einer Instrumentalversion auf und zeigte damit die Verbundenheit der Bläser und Sänger, der Deutschen und Tschechen.
Posaunenchöre sind in Tschechien weitgehend unbekannt. Drei tschechische Bläser spielten bei einigen Stücken beim CVJM mit und gründen jetzt in Zábřeh einen gemeindeübergreifenden Posaunenchor. Lehnerer freute sich darüber sehr und unterstützte die Bläserkollegen gleich mit Noten. So sind neue freundschaftliche Kontakte über die Grenze und die Gräben der Vergangenheit hinweg entstanden.
„Versöhnung beginnt im Kleinen, in der direkten Begegnung“, fasste Pfarrer Dr. Kurz zusammen, „mit dieser Reise sind wir einen ersten, wichtigen Schritt gegangen. Es hat sich gelohnt.“

Das Massaker von Leština

Lestina
Bildrechte Dekanat Sulzbach-Rosenberg

Am 7. Mai 1945, einen Tag vor der Kapitulation, wurde ein deutscher Soldat auf dem Rückzug in Leština erschossen. Die deutschen Besatzer verhafteten fünf willkürlich ausgewählte tschechische Zivilisten als Geiseln und erschossen sie im Nachbardorf, weil sich der Mörder des Soldaten nicht meldete. Drei Tage später, nach dem offiziellen Kriegsende, wurden fünf Sudetendeutsche gezwungen, Gräber für gefallene sowjetische Soldaten auszuheben. Während sie arbeiteten, wurden die Leichen der fünf ermordeten Geiseln zum Friedhof von Leština gebracht. Die Lage eskalierte. Die Deutschen wurden gezwungen, auch für sich selbst außerhalb des Friedhofs ein Grab auszuheben. Dann wurden sie ermordet und begraben. Eine Woche später wurden diese fünf mit den Leichen von elf unbekannten Flüchtlingen aus Schlesien in ein Massengrab umgebettet. In den nächsten Tagen kamen noch weitere sechs Deutsche aus Vitošov und Hrabová ums Leben.
Im Jahr 2000 wurden die Überreste der ermordeten Deutschen auf den deutschen Armeefriedhof in Brünn umgebettet. 2007 stellte die Gemeinde Leština den Gedenkstein auf dem Friedhof auf.

cog 16.6.2015